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Kobold
von Clara Wörsdörfer
(Textauszug zur Ausstellung Kobold, Projektraum Strunkgasse, Mainz)
Kobold macht den Prozess des Räumens und Ordnens von Gegenständen sichtbar nachvollziehbar. Wie verändert und bewegt sich das mitunter eigensinnige Inventar, wenn in einer alten Schreinerwerkstatt auch Raum für Kunst sein soll? Eine begehbare Zeichnung ermöglicht dem Betrachter einen neuen, beweglichen und vielleicht sogar abenteuerlichen Blick auf den Raum und seine Dinge. Dabei spielen die Künstler – mit der klassischen Stilllebentradition im Hinterkopf – auch mit dem Verhältnis zwischen real-materiellem Objekt und (imaginärem) Abbild. Einem unberechenbaren Hausgeist nicht unähnlich stellen Jilavu und Schmelz mit ihrer künstlerischen Dokumentation einer ‚Verrückung‘ der Dinge unsere Wahrnehmungsmuster auf die Probe.
Die Kreidezeichnung der beiden Künstler fügt sich in den Raum ein, arbeitet mit dem klassischen Werkstattinventar (Böcke, Zangen, Leiter, Sägeblätter) und lädt dazu ein, sich mit dem Raum näher zu beschäftigen. Jilavu und Schmelz haben das Hausmeisterteam beim Aus- und Aufräumen in der Werkstatt begleitet, ursprüngliche Positionen von Gegenständen zeichnerisch festgehalten und dann in Bewegung versetzt. Mit Pfeilen deuten sie an, wie sich die Dinge im Raum
bewegen, ihn verlassen, sich neu gruppieren oder arrangieren können. Wer sich durch diese Raumzeichnung bewegt, die auch als räumliche Planskizze verstanden werden kann, der fängt an zu rätseln: Wie könnte ein Stuhl mit sechs Beinen aussehen? Ist die kleine Plastikblume an der Leitung nach oben gewandert? Wie macht sich eine Leiter an der Decke? Brechen da etwa einem Stuhl vor unseren Augen die Beine weg? Können Sägeblätter schweben? Mit ihrer Zeichnung deuten die Künstler solche Vorgänge an und eröffnen dem Betrachter die Option, sie als Gedankenspiel selbst auszuführen und fortzusetzen.
Beim Nachvollziehen der Wege stößt der Besucher auf Dinge, die im Werkstattraum geradezu fremd erscheinen: Ein Blumenstrauß, Äpfel, eine Traube. Gegenstände, die auf unzähligen Stillleben der Kunstgeschichte arrangiert und mit symbolhafter Bedeutung aufgeladen wurden. Ein Still-Leben, das sagt schon der Name, zeigt reglose Dinge, die zum Beispiel auf einem Tisch vom Maler nach inhaltlichen oder ästhetischen Kriterien zusammengefügt werden, um uns beispielsweise an unsere Vergänglichkeit zu erinnern oder einen besonderen illusionistischen Reiz zu entfalten. Gleichwohl, so wird dies auch in der aktuellen kunsthistorischen Forschung thematisiert, beinhaltet das Stillleben ganz wesentlich eine räumliche Dimension. Der (relative) Raum des Stilllebens entsteht durch die Positionierung der Objekte und Körper – eine Verschiebung verändert auch den Raum, der Blick wird durch die Anordnung der Objekte in Bewegung gesetzt, die möglichen Veränderungen des Arrangements führen zu einer permanenten Dynamisierung. Der Betrachter verliert so seinen festen Standpunkt und muss sich seiner eigenen Position immer wieder dadurch versichern, dass er sich in Beziehung zu den ihn umgebenden Dingen setzt und dabei versucht, sich eine souveräne Position zu erarbeiten.
Jilavu und Schmelz spielen mit diesem Wissen, KOBOLD lässt die Gegenstände alles andere als reglos oder tot erscheinen. Aber: Wurden nicht auch die Sägeblätter und Zirkel an der Werkstattwand geradezu nach ästhetischen Maßstäben „dekorativ“ angeordnet? Wer dem KOBOLD folgt, der kann sich schließlich auch die Freiheit des Betrachters nehmen und die zahlreichen Gegenstände zu neuen Stillleben gruppieren und zusammensetzen – dann eben mit Besen, Bock und Zange statt mit Blumenstrauß, Traube und Apfel.

Installation Kobold von Jilavu/Schmelz
von Barbara Auer
(Textauszug aus dem Katalog zur Ausstellung Emy–Roeder Preis 2011, Kunstverein Ludiwgshafen am Rhein)
(...)Der Eingangsbereich in der Ausstellungshalle mit Theke, Stuhl, Regalen, Spendenbox, Papierkorb und Schrank wurde für die Installation "Kobold" komplett auf den Kopf gestellt. Nichts steht mehr so da wie vorher, jedes Möbelstück wurde auf eine neue Position gerückt, seine Umrisslinien mit einem roten Tape auf dem Fußboden fixiert und dann mit Pfeilmarkierungen an eine andere Stelle verschoben, wieder markiert, verschoben u.s.w. – ein unendlich fortsetzbares Spiel, das sich vom Boden über Wände und Decke ausbreitet. Der "Kobold", ein kleiner tückischer Hausgeist, macht vor nichts halt. Die Wahrnehmung des Raums mit seinen Gegenständen hat sich völlig verändert, der Betrachter bewegt sich , den Linien und Pfeilen folgend, im Raum: Realität und Abbild, Gegenstand und abstrakte Zeichnung, Statik und Beweglichkeit, alles ist in Bewegung – nicht zuletzt auch das Gehirn des Betrachters selbst, der sich im wilden Dschungel von Grundrissen, Linien und Pfeilen zu orientieren versucht. Das Verwirrspiel versinnbildlicht auch die künstlerische Arbeitsweise, den kreativen Prozess, bei dem fortwährend Ideen, Konzepte und deren Variationsmöglichkeiten gedanklich durchgespielt, festgelegt und verworfen werden, um immer weider Neues enstehen zu lassen.