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Transit
von Clara Wörsdörfer

„Wald, Wiesen, Vögel, das sind poetische
Begriffe und zugleich Klischees.
Bei den Worten Wald und Wiese lacht
der eine gleich auf, der andere aber steht
begeistert vor dem ersten Ehrenpreis des
Jahres und bekommt einen Transzendenzschub.“

(Andreas Maier/ Christine Büchner: Bullau)

I. Helen Jilavus offene Werkgruppe Transit lotet Bedingungen und Dimensionen des zeitgenössischen Stillebens aus. Sie aktualisiert damit eine künstlerische Gattung, die sich zunächst einmal aus der religiösen Malerei des Spätmittelalters emanzipieren musste, um dann – vor allem im 17. und 18. Jahrhundert jene Meisterschaft hervorzubringen, die bis heute in Ausstellungen einem großen Publikum vorgeführt wird. Stillebenmalerei war jedoch nie nur künstlerische Rafinesse. In Auswahl und Arrangement der dargestellten Gegenstände spiegelte sich stets auch die spezifische Ordnung und Struktur der übergeordneten, abstrakten Welt der jeweiligen Entstehungszeit und so können in das Stilleben in unterschiedlicher Komplexität auch religiöse, ökonomische oder soziale Faktoren eingehen.

Die Fotografien von I. Helen Jilavu klinken sich in jene Koordinaten gerade der Stillebenmalerei gleichsam ein und zitieren schon in ihrer Grundkonstellation – Holztisch vor schwarzem Hintergrund – die malerische ‚Vorgeschichte’. Auch in Jilavus Fotografien faszinieren zunächst die Brillanz der Oberfläche, die Subtilität, mit der sich die verschiedenen Farbtöne von dem schwarzen Fond abheben oder aus ihm herausschälen und die durchaus grafische Qualität der angeordneten pflanzlichen Gebilde. Buchstäblich öffnet sich dahinter jedoch ein (Bedeutungs)raum, der die gezeigten Gegenstände, die unterschiedlichen Pflanzen von Gladiole über Holunder bis Natternkopf in einen neuen Bezugsrahmen setzt und damit auch eine andere Beziehung zum/ zur Betrachtenden herstellt. Auf dieser Ebene beginnen die Bilder zu erzählen.

Auftritt: Elfenspiegel. Mit großer, ausladender Geste schwingen sich die zarten Stängel nach links. Der elegante Brautspier hingegen wiegt sich einer Trauerweide ähnlich nach vorne. Der
lilafarbene Natternkopf scheint mit sich selbst eine Art seltsames Ikebana aufzuführen. Es liegt nahe, die dunklen Bretter des Tisches im schwarzen Raum mit einer Theaterbühne zu assoziieren. „Mimosa“ enthält so nahezu ein komplettes Drama – bis hin zum bittersüßen, tragischen Ende. Wollte man für diese kleinen Pflanzen-Schauspiele nach Verwandten in der zeitgenössischen Fotografie suchen, würde man vielleicht sogar bei Peter Fischli und David Weiss landen – ihr kunstvoller und witziger Zyklus „Stiller Nachmittag“ zeigt lauter kleine Skulpturen, die ohne feste Verbindungen aus alltäglichen Gegenständen zusammengesetzt wurden und nun, wie seltsame und groteske Versuchsanordnungen, nur für den Moment des Fotografierens, quasi für ihren ‚großen Auftritt’ in einer Balance gehalten werden. 

Auffällig ist in Jilavus „Transit“-Zyklus die Erscheinung, das Auftreten der Pflanzen im Raum, die unterschiedliche Art, wie sie diesen einnehmen – einige scheinen über der Bühne zu schweben, andere, wie der zarte Zauberschnee, scheinen von ihr geradezu fliehen zu wollen. Der Frage nach der räumlichen Dimension gehen vor allem die Bilder nach, die das Heiligenkraut und den Spitzwegerich, aufgrund seiner Blattform auch Schlangenzunge genannt, vor geometrischen Formen zeigen. Durch diese dominanten Linien wird plötzlich eine Rückwand, sogar eine Kante, sicht- und spürbar. Der Tisch scheint somit nicht mehr in Zeit- und Ortlosigkeit zu schweben, sondern er wird in einem anderen Raum (dem Atelier der Künstlerin?) verortet, mit dem er sogar konkurriert. Dementsprechend steht der Spitzwegerich – eigentlich berühmt für seine Heilkraft – hier eher fade und kränkelnd, gräulich und welk, am Rand des Tisches, oder am Abgrund der Bühne.    

Die Möglichkeiten, wie die Blumen in „Transit“ auftreten können, sind vielfältig. Der bereits welk gewordene Gladiolenstrauß könnte beinahe einem alten niederländischen Blumenstilleben entnommen sein, quasi bloß aus der Vase genommen und zum Vergehen auf den Tisch gebettet. Brautspier, Holunder und Natternkopf hingegen besitzen eine bemerkenswerte Eigenmächtigkeit und Lebendigkeit und treten dem/ der Betrachtenden nahezu als sich selbst bestimmende Wesen gegenüber. „Elfenspiegel“, „Hornsauerklee“ und „Zauberschnee“ – hier irritiert zunächst der Erdklumpen, mit dem diese auf dem Tisch liegen, und der den Eindruck von zäher Widerstandskraft hervorruft. Als hätte man sie gerade recht gewaltsam aus einem Topf gerissen oder ausgegraben. Bezeichnenderweise aber markiert gerade dieser ins Bild geholte Erdklumpen einen zeitlichen Verlauf und verweist stärker als der bereits ‚zurechtgemachte’ und ganz bewusst arrangierte Strauß in der Vase auf einen Prozess des Gedeihens und Vergehens, sei er nun natürlich oder Eingriffen von Außen ausgesetzt. Plötzlich kommen Fragen auf nach der Herkunft dieser Pflanzen und somit auch nach der ‚Beschaffung’ des Bildmotivs. Dieses subtile Spiel mit Domestizierung und ‚Wildwuchs’ und der Parallelität von künstlerischer Regie und Eigenmächtigkeit der Bildgegenstände, verbindet alle Arbeiten der „Transit“-Serie miteinander. Und wie der Titel des Zyklus bereits anzeigt, geht es nicht bloß um das Reaktivieren eines aus der Kunstgeschichte bekannten Vergänglichkeitstopos, sondern allgemeiner um Durch- und Übergänge, sowohl in Bezug auf Prozesse in der Natur als auch auf den künstlerischen Prozess einer Bildfindung. So ließe sich auch „blueberry nights“, das einzige Bild, das anstelle der Pflanzen einige dunkelblaue Beeren zeigt, als geradezu programmatisches Bild lesen: Das Motiv, gleichsam das ‚Objekt der Begierde’, scheint sich trotz uneingeschränkter Anwesenheit dem Blick zu entziehen. Die dunklen Beeren entfalten eine beinahe magische Präsenz, obwohl sie vom umgebenden Raum kaum mehr zu unterscheiden sind. Was sehen wir schließlich im Stilleben und was machen wir nun damit? „Oh holder Holunder“ – nicht umsonst gleicht dieser Bildtitel einer Anrufung, die uns selbst mit ins Bild holt und so auch nach unserer eigenen emotionalen Verbindung zu den Dingen fragt.    

 

„mit geschlossenen Augen sehe ich dich

eine Dämmerungspflanze, strichgraues
Kraut, Unkraut-Heilkraut, es biegt sich
ins Unscharfe, ins Grau-in-Grau dieses

Abends, der über dem Bahndamm wabert

du bist ins Gebüsch gebogen: bald
werden wir aus dem Holunderdunkel  
Gelee kochen, Siebe voll winziger Kerne [...]“
(Marion Poschmann: Sambucus nigra / Schwarzer Holunder)